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                          | Beim Flachsbrechen |  
                          | Lucian Reich (1817 - 1900) |  
                          | Wenn im Oktober die Arbeit des Flachsbrechens bei 
                          einer eigens hierzu gebauten Feuerstätte im Freien, 
                          die je einer Familie abwechlungsweise zur Benutzung 
                          zustand, vorgenommen wurde, so halfen außer den 
                          bestellten Lohnbrecherinnen noch angesehene 
                          Bauerntöchter mit, welche man Ehrenbrecherinnen 
                          nannte. Kam nun während des Geschäftes, wobei es 
                          gewöhnlich lustig zuging, ein bekannter junger Mann 
                          vorüber, so beeilten sich ein paar Mädchen, ihm 
                          zuvorzukommen. Jede trug eine Handvoll feiner Reisten 
                          (Schäben = Flachsabfall), mit welcher sie den 
                          Ankömmling den Weg bestreuten, sprechend: |  
                          | „Es 
                          reist ein schöner Herr wohl übers Land,Wir hoffen, er hab einen großen Verstand,
 Wir wollen ihm streuen in Ehren,
 Er wird uns auch was in die Reisten verehren!“
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                          | Der Angesprochene, um sich loszukaufen, langt in 
                          die Tasche, reicht den schalkhaften Brecherinnen 
                          scherzweise das kleinste Geldstück, welches er bei 
                          sich trägt, und spricht: |  
                          | „Weil 
                          ihr mir die Ehre erweiset,Und mich gar einen Herren heißet,
 So will ich mich nicht länger wehren,
 Und euch diesen Kronentaler in die Reisten verehren““
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                          | Die Mädchen unter Scherz und 
                          Lachen: |  
                          | „Dieser 
                          Kronentaler ist viel zu klein,So zahlen arme Bäuerlein;
 Die Herren spenden immer mehr,
 Drum gib uns noch einen Zwölfer her.“
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                          | Und keiner war je so ungalant, 
                          daß er nicht den schönen Drängerinnen mehr gespendet 
                          hätte. Reiche Bauernsöhne gaben sogar nicht selten in 
                          der Tat einen Kronentaler, selbst mehr, vorausgesetzt, 
                          daß ihnen die „Reisten“ und diejenigen, welche sie 
                          gestreut, gut gefallen. Der Schluß des ländlichen 
                          Geschäfts war jedesmal ein Schmaus, welchen die 
                          Hausfrau ihren Helferinnen zum besten gab - und als 
                          Beweis, daß diese stets einen guten Appetit von der 
                          Arbeit mitzubringen pflegten, kann das alte Sprichwort 
                          gelten: „Hunger haben wie eine Brecherin“. Während dem 
                          Ehrenmahl erschienen die ledigen Burschen des Ortes, 
                          jeder mit einem Stab in der Hand, und indem sie sich 
                          vor das Haus postierten, unterhielten sie sich durch 
                          das offene Fenster mit den essenden Schönen in der 
                          unteren Stube. Weil aber dem Mahle niemals Äpfel- und 
                          Birnenschnitze fehlen durften, so verlangten die 
                          Außenstehenden, scherzweise durch die hohle Hand 
                          sprechend, bald von dieser, bald von jener 
                          Innensitzenden einen Schnitz, dessen Geben oder 
                          Verweigern natürlich stets großen Spaß verursachte. War das Essen vorüber, so 
                          stellten sich die Burschen im Spalier vor dem Hause 
                          auf mit vorgehaltenen Stäben - und wenn die Mädchen 
                          heraustraten um nach Hause zu gehen, so mußte sich 
                          jede die Begleitung eines solchen galanten Stabhalters 
                          gefallen lassen.   |  
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                          Flachsbrechende Frauen, 1544, wohl aus der 
                          Nordschweiz, Stickerei |  |  |  |