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Die Leinenweberei bis ins 19. Jahrhundert

Die bäuerliche Leinenweberei
Schon in vorgeschichtlicher Zeit war die Leinenweberei in ganz Mitteleuropa ein fester Bestandteil der bäuerlichen Produktion. Auf jedem Hof wurde gewebt, Leinenstoffe gehörten auch zu den Fronabgaben der abhängigen Bauern an ihren Lehnsherrn. Zunächst war die Flachsverarbeitung ausschließlich die Aufgabe von Frauen und man kann davon ausgehen, daß Spinnen und Weben seit jeher zum allgemeinen Wissen jedes Mädchens, jeder Frau gehörte

Die Verarbeitung von Flachs bis zum Gewebe blieb mit der ländlichen Bevölkerung verbunden wie kein anderes textiles Material. Ein großer Teil der Flachsfasern wurde bis ins 19. Jahrhundert von der ländlichen Bevölkerung versponnen und verwebt. Auch die erwerbsmäßig betriebene Leinweberei war zum größten Teil auf dem Lande angesiedelt.

Der Anbau von Flachs ist Landarbeit, seine Bearbeitung bis zur verspinnbaren Faser war und ist die Arbeit des Landwirtes. Jeder Bauer, auch die Kleinbauern, pflanzten ehemals Flachs an, zumindest für den eigenen Bedarf. Man spann und webte das Leinen selbst. Möglichst viele Ballen gut gewebter, hochwertiger Leinenstoffe zu besitzen, gehörte zum Imagebewußtsein der  bäuerlichen Bevölkerung noch bis ins 20. Jahrhundert hinein. Deshalb war die Spinnerei und Weberei nicht nur ein großer und wichtiger Arbeitsbereich, es war einer der wichtigsten Maßstäbe für das Selbstwertgefühl der Landfrauen.

In verschiedenen Regionen wurde über den Eigenbedarf hinaus auch für den Verkauf produziert. Sowohl der gehechelte Flachs als auch das gesponnene Garn und der Leinenstoff waren eine begehrte Handelsware.

Alle Arbeiten waren stark ritualisiert. Das galt für alle Bereiche der Flachsverarbeitung, doch unterschieden sich die Bräuche und Gepflogenheiten sehr in den verschiedenen Landesteilen Deutschlands.

Man begann an bestimmten Tagen des Jahres mit bestimmten Arbeiten, die jeweils von bestimmten Leuten ausgeführt wurden. So sollte nach altem Brauch am 100sten Tage im Jahr der Bauer den Flachs säen. Jäten war die Arbeit von den Mägden und Töchtern des Hofes. Das Ausraufen der Flachsstengel war ebenfalls Sache der Frauen und mit Bräuchen verbunden, wobei die Mägde dieses eine mal im Jahr ihre Wichtigkeit am Hof dokumentieren durften. So mußte sich z.B. der Bauer in niedersächsischen Dörfern von den Mägden mit Flachs fesselt lassen und dann mit spendiertem Schnaps wieder loskaufen.

Die Bearbeitung des Flachses bis zum fertigen Faden war in früheren Jahren im wesentlichen  Frauensache, es war sozusagen ihr wichtigstes Metier. Zur Aussteuer jedes Mädchens gehörten die dazu notwendigen Geräte, die Breche, die Schwinge, die Hechel, sowie das Spinnrad und der Haspel. Der Umgang mit diesen Geräten, vor allem das Spinnen, gehörte lange zum selbstverständlichen Wissen jedes Mädchens. Später beteiligten sich auch Männer an der Arbeit, vor allem in den Regionen, wo die Leinenweberei zum wichtigen Erwerbszweig geworden war.

Das Flachsreffen in der Scheune, die Arbeit um das Rotten, Trocknen, Rösten , Brechen und Schwingen war in den meisten Dörfern eine Gemeinschaftsarbeit aller weiblichen Mitglieder eines Hofes, die sie im Herbst bei geeignetem Wetter in Freien ausführten. In den kleineren Höfen taten sich auch die Nachbarinnen zusammen und half sich gegenseitig. Das Brechen des Flachses und das Schwingen, d.h. Abschlagen der Stengelsplitter, der Schäben, war Schwerarbeit, die man sich mit Singen und Scherzen zu erleichtern suchte. Ein gutes Essen, zubereitet von der Bäuerin, war den Arbeiterinnen gewiß.

Der grob gehechelte Flachs lagerte dann, zu kleinen Docken oder Bündeln gedreht, bis zur weiteren Verarbeitung. Mancher „Kloben“ oder „Stein“ - eine bestimmte Menge dieser Flachsdocken - kam auch auf den Markt zum Verkauf oder wurde von reisenden Händlern aufgekauft.

Das Spinnen von Flachs und Werg war die umfangreichste Arbeit im ganzen Prozeß. Meist an Martini begannen alle weiblichen Mitglieder der Höfe damit, jeden Abend spinnend zu verbringen. Es war ein bestimmtes Quantum pro Woche zu leisten, das sich nach den Gegebenheiten richtete. Die Leistung, die erbracht werden mußte, vorgegeben von der bäuerlichen Herrschaft, war groß und nur bei permanentem Fleiß zu schaffen. Da es sich um eine eintönige Arbeit handelte, die Geselligkeit leichter zu bewältigen war, entstanden allerorts Spinnstuben, die vor allem von den jungen Leuten frequentiert wurden. Diese Spinnstuben waren seit alters her die Zentren für Kommunikation bei der ländlichen Bevölkerung .

Mädchen einer Altersgruppe trafen sich reihum im Hause eines der Mädchens, um zusammen zu arbeiten, zu singen und zu lachen. Zu den Mädchengruppen im heiratsfähigen Alter gesellten sich auch Burschen und man verbrachte fleißige und doch heitere Abende miteinander. Doch gesponnen wurde nicht nur in den Spinnstuben. Auf großen Höfen blieben Bäuerin, Töchter und Mägde auch im Hause, ältere Frauen spannen manchmal auch den ganzen Tag. Spinnen war die Arbeit, die selbst von gebrechlichen Menschen geleistet werden konnte und getan werden mußte. Alle weiblichen Mitglieder  einer Hofgemeinschaft konnten spinnen und mußten dies auch, sonst wäre die notwendige Leistung nicht zu erbringen gewesen. Das gilt wohl für ganz Deutschland.

Meist Anfang Februar, an Lichtmeß (2. Februar), begann die Webarbeit. Der Webstuhl wurde dann aus der Scheune geholt und in der Wohnstube aufgestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte der meiste Flachs versponnen sein und die Bäuerin begann mit der Planung, was davon in diesem Jahr verwebt werden sollte, was gebraucht wurde und für welche Art Stoff genug Garn vorhanden war, denn es wurden viele Kilos jeder Sorte für eine Kette von 100 m Länge und mehr gebraucht. 

Wer sich an den Webstuhl setzte, war in den einzelnen Landstrichen Deutschlands sehr verschieden. Im Norden Deutschlands waren es nach wie vor die Frauen, die auch diese Arbeit übernahmen. Heinrich Paulsen (geb. 1846) berichtet über die Verhältnisse in den Dörfern von Schleswig:

„Wie die Ernährung, so wurde auch die Kleidung in der Hauptsache mit den eigenen Mitteln und den Künsten des Haushalts bestritten... Webstühle waren in vielen Häusern, so im Elternhaus des Vaters wie der Mutter, nicht in unserem; es fehlte an Zeit und auch an Raum dafür. Dagegen waren die Spinnräder im Winter wohl in jedem Haus in schnurrender Bewegung; Nachmittags und abends saßen die Mutter und das Mädchen regelmäßig am Spinnrad...

Wie die Kleidung, so war auch die Wäsche Erzeugnis des Hausfleißes. Die Mutter kaufte jeden Herbst einen „Stein“ Flachs in Bredstedt ein. Er wurde von ihr eigenhändig gehechelt, erst durch grobe, dann durch feinere Kämme von Eisenstacheln gezogen und so von der Hede (Werg) gesondert, in zierliche Bündlein aufgeknüpft und dann versponnen. Die Leinwand, die sie aus dem Garn von einer Nachbarin weben ließ, wurde auf der Wiese gebleicht und dann zu Hemden, Bettlaken, Handtüchern, Tischtüchern und Überkleidung verarbeitet...“

In Hessen, Westfalen, Franken, im südlichen Deutschland webten in der Regel die Männer auch in der bäuerlichen Weberei. Auch in diesen Ländern stand auf fast jedem Hof ein Webstuhl, wurde Flachsanbau und Bearbeitung betrieben, in einigen Regionen nicht nur für den eigenen Bedarf. Den Bauern war es in der Regel nicht erlaubt, die Wolle ihrer Schafe zu verweben. Ausgenommen war „Beiderwand“ für den eigenen Gebrauch. Das war ein Stoff mit Leinen in der Kette und Wolle im Schuß, gewebt in Leinwandbindung, den die bäuerliche Bevölkerung für Jacken und Röcke verwendeten. 

Alles, was die Bauern an Leinenstoffen, auch Garn oder Flachs, nicht für sich selbst gebrauchten, wurde verkauft. In einigen Regionen war das mehr, anderswo weniger oder auch nichts. Der Verkauf erfolgte über Händler, die den Stoff im Ballen, also unzerschnitten, aufkauften und überregional, oft im Export, vermarkteten.

„Das einzige Verdienst, was die Leute dort hatten, bestand darin, daß sie im Sommer Flachs zogen, diesen zu Garn spannen, das Garn zu Leinwand verwebten - in jedem Haus stand ein Webstuhl - und die Leinwand nach Arolsen verkauften...“ (Auszug aus: Peter Lübke, Lebenserinnerungen)                                                                                            

Gab es eine Konzentration von Leinenweberei in einem Gebiet, so waren meist auch die Einrichtungen zur Flachsbearbeitung in größeren Anlagen im Dorf vorhanden. Reste dieser Einrichtungen kann man gelegentlich  heute noch finden, beispielsweise um Frechen am Niederrhein. Die Wassertümpel zum Rotten des Flachses oder die Darrhäuser zum Trocknen der Halme vor dem Brechen und die Bleichwiesen mußten von den Gemeinden zur Verfügung gestellt werden durften von allen, die dieses Gewerbe betrieben, genutzt werden. Wie und in welcher Reihenfolge, war mit Vorschriften genau geregelt.

 „Alle Flachs- und Hanfarbeit soll nicht in Städten, Flecken oder Dörfern, oder in Häusern, sondern außerhalb geschehen, an Orten, wo man Feuers halben gesichert und wo kein Brand zu befahren ist.“

(Nassauisches Gesetz von 1599)


Die gewerbliche Leinenweberei

 

  Leinenweber 1676, Landauersche Stiftung Nürnberg, Stadtbibliothek Nürnberg


Damit sind wir bei der gewerblichen Leinenweberei angelangt. Im Laufe des Mittelalters bildete sich neben der bäuerlichen Weberei ein Handwerksstand in diesem Metier sowohl in den Städten wie auf dem Land. Doch der städtische Leinweber blieb in der Minderheit, Vereinigung zu Zünften waren eher die Ausnahme, denn Leinen wurde auch weiterhin vornehmlich auf dem Lande von der bäuerlichen Bevölkerung verarbeitet.

Der Leinwand webende Bauer und der Ackerbau betreibende Leinweber ist im Rückblick oft nur schwer zu unterscheiden, denn die Handweber betrieben meistens auch etwas Landwirtschaft. Der Unterschied lag in den technischen Webkenntnissen, die der Leinweber besaß, während die bäuerlichen Familien im wesentlichen das einfache Haustuch in Leinwandbindung herstellte, wovon es allerdings den größten Bedarf gab.

 

Schon im Laufe des 16. und verstärkt im 17. Jahrhundert entwickelte sich die Leinenweberei in einigen Regionen zum wichtigen Nebenerwerb; und, herrschten günstige Bedingungen für den Flachsanbau, auch zum wichtigsten Gewerbe, in das der größte Teil der Bevölkerung integriert war. Es entstanden Webzentren, wo nicht mehr nur für den regionalen Verbrauch produziert wurde, sondern im wesentlichen für den Exporthandel, der von den Städten aus organisiert wurde. Beispiele dafür sind die Textilgebiete am Niederrhein um Aachen, Wuppertal, Krefeld und Köln,  die sich bis in die Eifel zogen. Auch in Osthessen, im südlichen Niedersachsen  oder im bayrischen Wald breitete sich die Leinweberei aus. Wichtige Gebiete für die gesamte Textilherstellung waren Brandenburg um Berlin oder die Oberlausitz in Sachsen, später auch Oberschlesien, wo das Leinengewerbe bis weit ins 19. Jahrh. einen großen Platz einnahm. Doch auch im Süden Deutschlands gab es Gebiete, wo der Flachsanbau und die Leinenweberei zunächst eine große Rolle spielten.

 

Die Kette wird geschärt, Zeichnung von Chodowiecki zu Badows Elementarwerk 1770

 

 

Der Weber, Zeichnung von Chodowiecki zu Badows Elementarwerk 1770
Von ihrer Entwicklung und der Struktur her unterschieden sich die einzelnen Webzentren deutlich, gemeinsamer Nenner war der überregionalen Handel, der von sog. "Verlegern", den dazu privilegierten Händlern, organisiert wurde. In einigen Regionen wie z.B. in Niedersachsen, Hessen oder dem bayrischen Wald konnten die Leinweber bzw. Bauern ihre Selbständigkeit sehr lange erhalten, in anderen Regionen wie Berlin, Sachsen, Schlesien oder am Niederrhein, den wichtigsten und größten Textilgebieten Deutschlands, war das nicht der Fall. Immer mehr der in diesem Metier arbeitenden Menschen waren ohne eigenes Land und verloren ihre Eigenständigkeit, kamen in Abhängigkeit von städtischen Kaufleuten. Die Entwicklung der Weberei in den einzelnen Gebieten bedürfen einer eigenen Darstellung, hier nur kurz ein paar kurze Beispiele im Überblick.

Als im 16. Jahrhundert der Wohlstand stieg und damit Bedarf an Textilien wuchs, entwickelte sich eine industrielle Handweberei, oder Hausweberei. Der Verkauf der Stoffe wurde von Händlern organisiert. Das Privileg dazu hatten sich Patrizier und Ratsherren gesichert, welche die Stoffballen von den Webern aufkauften und weiter vermarkteten. Zunächst wurde der Flachs aus dem örtlichen Anbau verarbeitet, doch als das nicht mehr reichte, mußte Flachs - als Rohmaterial oder Garn - eingeführt werden. Das geschah vornehmlich ebenfalls durch die Handelsherren, die für den Einkauf Aufkäufer durch andere Regionen Deutschlands schickten. Zur Finanzierung des Materials gehörte Kapital, das die meisten Weber nicht besaßen. So kam der Handel bald in die Hände von wenigen großen Kaufleuten. Die Weberfamilien - in der Heimweberei waren immer alle Familienmitglieder integriert - verarbeiteten das vom Verleger gelieferte Material. Sie verloren damit ihre Selbständigkeit und wurden zu Verlagsarbeitern, abhängig von "ihrem" Verleger. So entstand "industrielle" Weberei, obwohl nach wie vor alles reine Handarbeit war. Industriell, weil eine bestimmte Ware in Mengen produziert wurde, wobei der Prozeß der Herstellungnicht mehr in einer Hand verblieb wie das beim Handwerk der Fall war.
Der Niederrhein stand stark unter dem Einfluß der Niederlande, die in der Weberei Europas Vorreiter waren. In Flandern gab (und gibt es heute noch) große Anbaugebiete für Flachs, gab es sehr gut ausgebildete Weber, die auf Grund politischer Unruhen von dort weg in Richtung Osten auswanderten und die Weberei Deutschlands sehr wesentlich beeinflußten.
Am Niederrhein entstanden Zentren in Aachen, Wuppertal und Köln - um die wichtigsten zu nennen - von wo aus einige Patrizier, dann Verleger, die Produktion der Leinenstoffe auf dem Land rundherum - von Köln aus bis in die Eifel - leiteten. Die Leinenweberei kam dort zu großer Blüte, von Mitte des 17. bis Ende des 18. Jahrhunderts entstanden dort neben der Massenware in feinster Ausführung zudem sehr hochwertige Damaste - Tafeltücher - aus Leinen mit großflächigen Bildentwürfen.

 

Ähnlich wie am Niederrhein waren die Verhältnisse in der Oberlausitz. Im schlesischen Gebirge, wo Friedrich der Große sächsische Weber ansiedelte, entwickelte sich von Anbeginn eine verlagsmäßig betriebene Leinenweberei mit einem Höhepunkt gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Das schlesischen Leinen gehörte wie auch das sächsische, zu den hochwertigen Produkten Deutschlands. Trotzdem waren die meisten Weberfamilien dieser Region keine selbständigen Handwerker mehr und abhängig vom Verleger.
Leinenhandtuch, Halbdamast

      Damastgewebe aus Leinen, blau/weiß „Verkündigung“ gewebt Schlesien um 1700, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum

 

Anders waren die Verhältnisse im Vogelsberg in Osthessen oder im Ravensberger Land um Bielefeld, wo Leinenweberei ebenfalls ein wichtiger Erwerbszweig geworden war. Auch hier lernte man zu Leinengewebe mit Mustern zu verzieren, doch war alles ein wenig derber und einfacher. Hier arbeiteten Handwerker und Bauern auf eigene Rechnung bis zum fertigen Stoff, dann verkauften sie diesen an einen der Aufkäufer, die im Auftrag eines Verlegers über Land reisten.

Um einen hohen und gleichbleibenden Qualitätsstandart für die Leinenstoffe zu erhalten, wurden Prüfstellen in den Städten eingerichtet, die "Legge" wohin die Bauern und Leinweber ihre fertige Ware bringen mußten. Jeder Stoffballen, der nicht für den Eigenverbrauch gedacht war, mußte "beschaut" und gesiegelt werden. Ein amtlich bestellter Leggemeister prüfte den Stoff auf Länge, Breite, Fadendichte Webqualität und Fehlerfreiheit. Der Stoff wurde auf dem "Leggetisch", ausgelegt, so daß alle Unebenheiten genau kontrolliert werden konnten. War alles in Ordnung, bekam der Stoff ein Gütesiegel. Kein Stoff durfte ohne dieses Gütesiegel zum Verkauf kommen. Wurden die geforderten Kriterien nicht erreicht, schnitt der Leggemeister den Stoff auseinander, damit gewährleistet war, daß diese Stücke für einen Verkauf nicht mehr in Frage kommen konnten. Bei Lohnarbeit für einen Verleger wie z.B. in Schlesien, übernahmen auch "Faktoreien" diese Kontrolle. (Faktoreien waren die Niederlassungen großer Verleger in kleineren Städten, von wo aus Materialausgabe und Warenablieferung abgewickelt wurden.) Entsprach die abgelieferte Ware in der Qualität nicht den Wünschen des Auftraggebers, so war man nicht zimperlich mit den Strafen. Später wurden diese Güteprüfungen auch zum probaten Mittel, die Entlohnung für die Arbeit der Weber immer weiter zu drücken.

Der Handel mit den Stoffen wurde, wie bereits erwähnt, in den Städten organisiert; von nur wenigen großen Kaufleuten, Patriziern oder Ratsherren, die sich das Recht zum Großhandel gesichert hatten. Die Bauern und Leinweber dieser Regionen besaßen in der Regel keine Konzession, einen Handel mit ihren Stoffen zu betreiben. In großen städtischen Lagerhäusern (in Köln stehen sie noch), auch in den Messestädten Leipzig und Frankfurt, wurden die Waren gelagert und dann während der verschiedenen jährlichen Messen an die kleineren Händler vermarktet. Der Export spielte schon seit dem 17. Jahrhundert eine große Rolle. Dabei war das westliche Deutschland nach Amsterdam, wichtigster Drehpunkt im Überseehandel, orientiert, Ostdeutschland mehr nach Nord- und Osteuropa; Rußland war Schlesiens wichtigster Handelspartner.
Durch die Konzentration der Leinenweberei entwickelte sich dann jeweils ein sehr hoher Standart an Qualität der Stoffe, wodurch die Waren begehrt und gut verkäuflich wurden. Die viele Arbeit brachte Wohlstand für viele Menschen in diesen Regionen, doch gleichzeitig auch eine starke Krisenanfälligkeit. Krisen gab es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder. Vor allem jeder politische Umschwung brachte dann Probleme für die ganze Bevölkerung, da die meisten bei der Weberei integriert waren. So ist zu erklären, daß gerade hier, in Regionen mit guter wirtschaftlicher Grundlage, immer mehr Menschen ihre Eigenständigkeit verloren und in die Abhängigkeit von Kaufleuten und Verlegern gerieten.

Die handwerkliche Leinenweberei
Völlig unberührt vom Aufschwung und der Konzentration von Leinenweberei in den verschiedenen Zentren entwickelte sich das Leinengewerbe auch in Regionen Deutschlands, wo ausschließlich für den örtlichen Bedarf gearbeitet wurde. Hier waren die Handwerker in der Regel selbständig und in direktem Kontakt zu ihren Kunden. Sehr häufig verarbeiteten sie das Material des Kunden nach deren Wünschen.
Der Stand der städtischen Leinweber war schwierig. Häufig galt die Leinenweberei als nicht zunftsfähig. Konnten die Leinweber dann trotzdem eine Zunftvereinigung durchsetzen, gab es immer Probleme mit den wesentlich einheimischen Tuchmachern. Man stellte die Leinweber in eine Reihe mit den Totengräbern, den Scharfrichtern oder Nachtwächtern und anderen Berufen, die als "unehrlich", gemeint ist unehrenhaft, galten.
Diese Ächtung brachte viele Nachteile: Die Familien mußten z.B. in bestimmten Stadtbezirken wohnen, einem Leinwebersohn war es nicht erlaubt, Tuchmacher zu werden oder einen anderen "zünftigen" Beruf zu erlernen. Ließ ein Tuchmacher einen Leinweberknecht für sich arbeiten, erwarteten ihn Sanktionen von Seiten seiner Zunft. Für die Leinweber gab es deshalb kaum Möglichkeiten, aus ihrem Lebenskreis auszubrechen. Das technische Wissen wurde von einer Generation zur nächsten weitergegeben, eine andere Chance gab es nicht.
Heute läßt sich nicht mehr nachprüfen, worauf der schlechte Leumund der Leinweber basierte. In vielen Vorschriften sind Prüfungen und schwere Strafen für schlecht oder falsch gewebte Stoffe festgelegt, auch sind einzelne Protokolle von Strafverfahren vorhanden, doch eine schlüssige Erklärung für das üble Image dieses Berufsstandes findet sich nicht. Belegt ist, daß die städtischen Leinweber zur armen Bevölkerungsschicht gehörten.
Sie waren in der Minderheit gegenüber den Tuchmachern und auch den Dorfwebern. Mit dem größer werden der Webzentren und dem damit verbundenen Stoffhandel gab es schon im Laufe des 18. Jahrhunderts immer weniger Existenzmöglichkeiten für diese Handwerker in den Städten.

Anders auf dem Dorf, wo die Leinenweberei sehr häufig ihre Bedeutung bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts behielt. Die dörflichen Handwerker stellten im wesentlichen jene Leinenstoffe her, die von den Bauern oder Bäuerinnen nicht gewebt werden konnten. Das gilt auch für Norddeutschland. Man liebte zum Beispiel für Handtücher und Tischdecken Muster mit Würfelköper, doch dies zu Weben bedingte ein technisches Wissen, das nur die Leinweber hatten. Es gab auch Leute, die keine Möglichkeit zum Weben besaßen, kein Gerät, kein Wissen oder nicht genug Material auf einmal, sie ließen den Leinweber für sich arbeiten. Es gab auch beides gleichzeitig, d.h. auf einem Hof wurde gewebt, doch weil die Fertigstellung einer Aussteuer anstand und man allein nicht mit der Arbeit fertig wurde, gab man einen Teil in Auftrag oder ließ den Leinweber kommen, der half.
In welcher Form die Aufträge vergeben wurden, dafür gab es unterschiedliche Traditionen in Deutschland. Mancherorts brachte man dem Weber das gesponnene Material und er verwebte das Garn im Stücklohn nach Wunsch und Anweisung. Anderswo bestellte man den Weber für bestimmte Arbeiten wie das Schären und Aufziehen einer Kette auf den Webstuhl ins Haus, weil viele Bauernfamilien diese Arbeit nicht ausführen konnten. Das war z.B. in vielen Orten Hessens der Fall. Andererseits kamen die Leinweber auch für die gesamte Webarbeit ins Haus. In Oberbayern z.B. war es üblich, daß die Dorfweber "auf die Stör" gingen.
Die Störarbeit ist die älteste Form des Handwerks. Hierbei kommt der Handwerker zur Arbeit ins Haus des Auftraggebers. Die Arbeitsgeräte stehen ihm dort entweder zur Verfügung (die ältere Form) oder er bringt sie mit, was später zur Regel wurde. Ist alle Arbeit in diesem Haus beendet, zieht der Handwerker mit den Gerätschaften zum nächsten Bauernhof, um dort den nächsten Auftrag zu erledigen.
In allen Fällen handelt es sich um selbständige Handwerker mit einem festen Kundenkreis und mit einer, von ihm selbst mit dem Kunden verhandelten und festgelegten Entlohnung. Die Leinweber auf dem Lande besaßen zudem eine kleine Landwirtschaft, manchmal auch die Möglichkeit, im kleinen Rahmen Stoffe auf eigene Rechnung für den örtlichen Bedarf herzustellen. Die besser gestellten Leinweber ließen auch "Weberknechte", Gesellen, für sich arbeiten. Sehr häufig jedoch reichte die Webarbeit nicht über das ganze Jahr. Vor allem die Weberknechte mußten sich im Sommer in der Landwirtschaft verdingen, aber auch manch ein selbständiger Leinweber war in dieser Lage, weil die Aufträge nicht ausreichten. Häufig waren sie die Ärmsten im Dorf, so geht es jedenfalls aus einem Bericht von Wilhelm Keil (Erlebnisse eines Sozialdemokraten) hervor:

 

Im Dorfe war zu jener Zeit die Leinweberei noch ein sehr unentbehrlicher Beruf. Viele Familien bauten und verarbeiteten ihren eigenen Flachs. Auf dem eigenen Spinnrad ward der Faden gedreht, die der Weber dann zu Leinwand wob. Auf dem eigenen Rasen wurde das Tuch von der Sonne gebleicht, um schließlich zu Hemden, Tisch- und Leintüchern genäht zu werden. Wie wenig ertragreich indes der Beruf des Leinwebers war, geht schon aus dem Leinweberlied hervor, das von der anspruchslosen Lebensweise dieser Zunft in sarkastischen Worten singt. Kartoffeln, Mehrsuppe, ein Stück Brot, das war die alltägliche Nahrung dieser Hungervirtuosen.

 


Um zu zeigen, wie tief die Weber mit ihrer Tradition verbunden waren, trotz oft harter Lebensweise, hier Auszüge aus einem Bericht aus dem Umland von Marburg: "Georg, der letzte Dorfweber". Die bäuerliche Leinenweberei war in dieser Gegend in der alten Form erhalten geblieben. Um 1900, der Zeit, aus der dieser Bericht erzählt, gab es noch drei Leinweber im Dorf, einer davon war Georg Webers Onkel.

"...Als Kinder mußten Georg und seine Geschwister das Spulen übernehmen... er ging noch in die Volksschule, da lernte er vom Vater "einfach Leinen" weben und nach der Schulzeit brachte ihm der Onkel die Handtuchmuster bei: "Wenn du's jetzt nicht lernst, muß ich die Aufträge zurückgeben"...
Den ganzen Winter wurde gewebt, der Vater und Georg lösten sich am Webstuhl ab: "Aber der Vater war gut und ließ mich gerne mal laufen." Für eine Steige zu 100 Ellen gab es drei Mark und einen Laib Brot und es war nicht immer leicht, das fertige Gewebe fortzuschleppen: "aber gut Frühstück gab's allemal bei den Bauern." Zwar wurde von den Frauen scharf nach Webfehlern gesucht, doch war da nichts zu finden und so unterblieb bei den alten Kunden die Musterung...
Der Vater begann in der Frühe gegen vier Uhr. Der Sohn setzte sich um sechs an den Webstuhl und unermüdlich klang der Anschlag bis abends zehn Uhr, 20 Ellen wurden am Tag geschafft, "wenn alles gut ging". Doch bei den Tischtüchern, die Georg nach einem alten Musterbuch webte, ging es nicht so schnell wie bei den bandstreifigen oder mit Karos gewebten Handtüchern."

Der Familienname dieser dörflichen Leinweber war Weber. Seit unzähligen Generationen, bis zurück ins Mittelalter als die Nachnamen entstanden, war der Webstuhl das Arbeitsgerät der Männer gewesen. Der jetzt vorhandene Webstuhl war nachweislich etwa 400 Jahre alt, immer wieder repariert, das konnte man sehen. Das besagte Musterbuch wurde zu Anfang des 19. Jahrhunderts von einem Familienmitglied von Hand aus einem der damals gängigen Musterbücher abgezeichnet. Es diente seither als Vorlage für die Handtücher und Tischdecken, die im Auftrag der Bäuerinnen aus deren Garn gewebt wurden. Die Familie besaß ein kleines Haus, eine Kuh und etwas Ackerland, das die Frauen bewirtschaftete, denn im Sommer mußten sich die Männer als Maurer verdingen, weil die Webaufträge nicht für das ganze Jahr ausreichten.

 

Seite aus dem Musterbuch des Dorfwebers Georg Weber, gezeichnet um 1800 Leinenhandtuch mit Würfelköper

Der Niedergang der Handweberei
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen die Schwierigkeiten für die gewerbliche Handweberei immer mehr zu wachsen. Durch die Auswirkungen von Napoleons Kontinentalsperre 1806 gingen für das Textilgewerbe wichtige, überseeische Exportmärkte verloren, der Bedarf auf dem europäischen Festland und gar im eigenen Land war nicht groß genug, um allen ausreichend Arbeit zu geben. Nachdem die Kontinentalsperre dann schließlich durch die gegen Napoleon gerichtete Allianz gefallen war, bekamen die deutschen Leinweber starke Konkurrenz aus England. England war damals industriell bestens erschlossenen. Dort waren seit Mitte des 18. Jahrhunderts Spinnmaschinen und andere, arbeitssparende, wesentliche Erfindungen gemacht worden, die eine schnellere, billigere Produktion ermöglichten. Auch der mechanische Webstuhl wurde in dieser Zeit in England entwickelt, auf dem zunächst vor allem Baumwollstoffe gewebt wurden. Ein Baumwollboom überrollte Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Baumwollstoffe kamen in Mode, vor allem in den Städten.

Das bedeutete zwar nicht, daß gar keine Arbeit mehr für die Leinweber übrigblieb, doch der Verdienst für die Arbeit sank innerhalb weniger Jahrzehnte auf die Hälfte herab. Dieses Dilemma traf vor allem die Leinweber jener Gebiete hart, wo viele Menschen ausschließlich von diesem Handwerk lebten und vornehmlich das Verlagswesen den Markt beherrschte, wie das zum Beispiel in Oberschlesien der Fall war. Die ausweglose Situation der schlesischen Weber ist bekannt, doch es gab auch andere Regionen in Deutschland, wo die Lage prekär wurde. Zwar waren die Leinweber in anderen Regionen, wie beispielsweise im Schlitzerland in Hessen, nicht ganz so verelendet wie die Schlesier, weil sie nebenher ihre kleine Landwirtschaft bewirtschafteten wie seit alters her. Doch auch sie verarmten völlig, nur wenige hatten die Möglichkeit, in andere Berufe oder die aufkommende Industrie abzuwandern, was damals ebenfalls ein hartes Brot war.
Um die Lage der Leinweber zu verbessern, subventionierten verschiedene Regierungen die technische Aufrüstung der Webeinrichtungen, um schnelleres Arbeiten ermöglichen, was zumindest für fachlich versierten Handwerker eine Verbesserung brachte. Doch ab Mitte des 19. Jahrhunderts war die Entwicklung der mechanischen Webstühle so weit fortgeschritten, daß auch Leinen darauf verwebt werden konnte, so daß langfristig gesehen, auch diese Aufrüstungen den Leinwebern den Wohlstand nicht mehr zurück bringen konnte. Im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der selbständigen Leinweber auch auf dem Lande immer mehr ab, die Webzentren gingen in die mechanische Weberei über.
Nur in bäuerlichen Kreisen erhielt sich die Leinenweberei noch bis ins 20. Jahrhundert, soweit vor allem für den Eigenbedarf und weniger zum Verkauf gearbeitet wurde. Die Spinn- und Webarbeit war für die Bauern eine der Arbeiten für den Winter, wobei der Verdienst in Geld keine so große Rolle spielte. Erst nach dem ersten Weltkrieg ging auch diese Tradition verloren.

Literaturauswahl:

Eduard Schoneweg, Das Leinengewerbe, ein Beitrag zur niederdeutschen Altertumskunde, Osnabrück 1985
Ottfried Dascher,
Das Textilgewerbe in Hessen-Kassel vom 16. Bis 19. Jahrhundert, Marburg 1968
Heinrich Hahn
, Geschichte der Handweberei im Schlitzerland, Schlitz 1978
Will Erich Peuker,
Die schlesischen Weber, Darmstadt 1971
Klaus Tidow
, Die Leinenweber in und um Neumünster, Neumünster 1976
Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde
, 27. Band - 1987/88, Textilarbeit
Hans Michel
, Die hausindustrielle Weberei Deutschlands, Entwicklung, Lage, Zukunft, Jena 1921