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Die Rockenstube

 

 

Fasnachtsspiel mit fünf Personen
von Hans Sachs (1536)
Die Personen im Spiel:
der Bauer
die Bäurin
Kunzl, der Baurenknecht
Gret, die Baurenmagd
der Zigeuner

Die Baurenmagd geht ein mit
dem Rocken, setzt sich und spricht:
Ein guten Abend, ihr Biederleut,
mein Gspiel hat mir gesaget heut,
heut wert hinnen(1) die Rockenstuben,
da werden Knecht und die Rossbuben
mit uns mancherlei Spiel anfahren,
des Stocksspielen und Öl ausschlahen;
der Schultes Wirt sein Sackpfeif bringen,
da wölln wir tanzen und drein singen
und haben einen guten Mut,
bis daß der Hahn heut krähen tut.

Der Baurenknecht kommt und spricht:
Ein guten Abend, Gret, bist schon do?
dein bin ich, in meim Herzen froh,
das ich dich hier gefunden hab:
ich will dir schüttn die Agen(2) ab.
Du bist mir die Liebst, auf mein Eid,
vor alle andren Baurenmaid,
die in dem ganzen Dorfe sein.

Die Magd stößt ihn weg und spricht:
Ach nein, du lieber Kunzl, nein,
ich bins nicht, will dirs aber nennen;
tust nicht Heinz Stringels Tochter kennen?
Das ist die Rechte, sollst du erwüten;
derselbn tu die Agen abschütteln,
weil du ihr alle nacht tust fensterln
wers gleich grim' kalt, das es tät glänstern;
hast ihr auch auf Sankt Martins nacht
ein Beutel zu ei'm Kirtag(3) bracht
nun geh nur hin, ich bin sein nimmer(4),
das Maul hast mir gemachet immer,
ich sei die Liebst, du wollst mich nehmen.

Der Knecht spricht:
Mein lieb Gret, ei tu dich schämen,
das du nun an dem Kirtagtanz
dem Hensel machet einen Kranz,
und warfst in stets mit Augen an,
ließt mich als einen Narren stan;
vom Herzn entfiel mir ein Kübl Bluts
denn saß ich da gleich auf mein Trutz
und nahm mich um die Christin an.

Die Magd spricht:
Mein Kunzl, mir liegt zwar nichtsen dran,
hätt ich nur mein Dutzet Nestl wieder;
drum geh nur hin und leg dich nieder,
du sollst mir heut kein Agen abschütten.

Der Knecht spricht:
So ließ ich dich auch wohl erwüten(5),
bist auch nit hübsch, dazu nit reich,
du siechst fast einem Affen gleich.
Schau dort kommt auch dein Bäurin.

Die Magd spricht:
Mein Kunzl, so bin ich da, fahr hin.

Die Bäurin kommt mit dem Rocken,
setzt sich und spricht:
Botz Leichnam angst, bist schon beim Rocken?
wie tut der Kunzl um dich mocken(6)!
hüt dich vor ihm, wann er wohl kann
den Mägdn das Kümaul henken an(7),
mein Gret, spinn fluchs und laß dir schlaunen(8)
füll dein Spindel, dann wölln wir launen(9)
und gute Milch und Semmel essen,
der Ruben hölern(10) nit vergessen;
wölln auch einen Reien han,
botz Mist, botz Dreck, dort kommt mein Mann.

Der Bauer kommt und spricht:
Sich, Alte, bist beim Rocken hinnen,
magst du daheimen auch nicht spinnen?
Der Fürwitz sticht dich auch noch sehr.

Die Bäurin spricht:
Botz Leichnam, schau, was ist denn mehr?
sag, wie oft du zum Wein dar schleuffst,
das Geld verfrißest und versäufst,
kommst heim und speist die größten Brocken.
viel besser ist, ich geh zum Rocken,
damit ich dir gar nichts vertu.

Der Bauer spricht:
Schweig, Alte, halt dein Waschen(10) zu,
spinn für dich und sei guter Ding.

Die Bäurin spricht:
Mein liebe Gret, heb an und sing
das neu Liedla, ich künd's auch gern,
vom Holderdrütschel(11) und Morgenstern.

Der Zigeuner geht ein,
die Magd zeigt auf ihn und spricht:
Schaut liebe Frau, wer kommt dort rein?
soll wohl der Teufel selber sein.

Der Zigeuner spricht:
Mein liebe Mutter und lieber Vatter,
offen stund Haustür und der Gatter,
des hat mein Weg mich rein getragen,
weil jemand ihm lassen wahrsagen,
der etwas hat im Haus verlorn,
oder ein Buhlen auserkorn,
es wären Magd oder jung Knaben,
ob man einer etwas ein hat graben(12),
oder soll einem sagen wahr,
wie das ihm soll ergehn dies Jahr,
der wird also von mir beschieden,
das er der Sach halb kommt zu Frieden.

Die Bäurin spricht:
Mein Mann, ich will ein Pfennig wagen,
den Zigeuner mir wahr lan sagen.
Kann er mir sagen mein Planeten?

Der Bauer spricht:
So tus, was will du mich lang freten(13).

Der Zigeuner schaut ihr die Hand und spricht:
O Mutter, wie ein bös Komplex!
fürwahr bist du eine alte Hex,
ein Milchdiebin und ein Unhold,
du hätt'st vor zwanzig Jahrn verschuld,
das man dich lebendig hätt graben(14).

Die Bäurin spricht:
Du lügst, und soll't du's Herzleid haben,
sag mir, wie wird mirs gehn dies Jahr?

Der Zigeuner schaut ihr in die Hand und
spricht:
Mein Mutter, so sag ich dir wahr,
dein Mann der wird dich heut noch schlagen,
auch wirst ihm heimlich Geld antragen,
auch hast ein Hafen mit Geld eingraben,
auch tust du viel Gemeinschaft haben
mit dem Pfarrer und dem Kaplan.

Die Bäurin zuckt ihm die Hand und spricht:
Hör auf, ich tu dich wohl verstan;
mein Alter, laß dir auch wahr sagen.

Der Bauer zuckt die Faust und spricht:
(zu seiner Frau)
Ich wollt dir d'Faust an Grint(15) bald schlagen,
erst hab ich dein Frümkeit(16) erfahrn,
womit du umgingst bei den Jahrn(17).
Zigeuner, komm, sag mir auch wahr,
was ich getan hab meine Jahr.
ich hoff, ich wöll noch Schultheiß wern
da ich noch kommen möchte zu Ehrn.

Der Zigeuner schaut ihm die Hand und spricht:
Du gerne trinkst und wirst studvoll(18),
du gerne kugelst und kannst's nit wohl,
du gerne kartest und gewinnst selten,
du gerne borgst und willst nit gelten(19),
du gerne entlehnest, zahlest nicht,
du gerne haderst vor Gericht,
du gerne buhlst vor allen dingen,
dir wird man bald ein Bankert bringen.

Die Bäurin fährt auf und spricht:
Ei, das hab dir die Drüs(20) in narren!
wollst du mit andern Bälgen(21) pfarren(22),
bin ich dir denn nit Weibs genug?

Der Bauer spricht:
Wie tust, mein Alte, bist nit klug?
Du brichst Häfen, so brich ich Krüg,
es wer denn, der Zigeuner lügt.

Die Bäurin spricht:
Er hat wahr, das dichs Unglück scheut,
so hab dirn Rocken übert Lend.
Sie schlägt mit dem Rocken, und er
sie mit Fäusten zur Tür hinaus.

Die Bäurin schreit dabei:
Ich beut dirs recht, du alter Büffel
du unendlicher Schalk und Schlüffel(23)!
Laufen beide hinaus.

Der Baurenknecht spricht:
Botz Mist, der Zigeuner hat zwar(24)
Bauren und Bäurin gsaget wahr.
sag mir auch wahr, daß ichs versteh,
wie es mir auf der Buhlschaft geh.

Der Zigeuner schaut ihm die Hand und spricht:
Du hast ein Buhlschaft oder sieben,
haben dich am Narrenseil umtrieben,
haltn dich all sieben für einen Narren.

Der Knecht spricht:
Ist das wahr, so will ich nit harren,
sag welche mich am liebsten hab.

Der Zigeuner spricht:
Das ist im Stall dein Meren grab(25),
der du gibst alle Tag zu essen.

Der Baurenknecht spricht:
Kannst du mit Worten nit ausmessen,
womit ich übern Tag geh um?

Der Zigeuner spricht:
Du bist unbscheiden, toll und dumm,
du gerne tanzt und kannst kein Scherz,
du gerne haderst, hast kein Herz,
du die ganz Nacht im Dorf umschwärmest,
du den Bäurin' Milchgruben stürmest,
du steigst in'd Gärtn wieder und für,
du den Meiden scheißt für die Tür,
du gerne stiehlest Röselwürst(24),
trinkst gern Schotten(27), wenn dich dürst,
du hast am Kirtag einer Frauen
beid Hände mordes(28) abgehauen,
das ihr Stümpf am Gürtel hingen.

Die Magd spricht:
Kunz, heiß die Amschel(29) dir mehr singen.

Der Baurenknecht spricht:
Ich mein, der Teufel red aus dir,
du hast ja wahr gesaget mir,
ich wollt dich ungern weiter fragen.

Die Magd spricht:
Komm und tu mir auch bald wahrsagen.

Der Zigeuner schaut ihr die Hand und spricht:
O, du gar faul und schlüchtisch(30) bist,
das Fett du von den Suppen frißt,
hast den Meuchler(31) zu allen Zeiten,
zwölf Stund du liegst an einer seiten,
tust dennoch ob dem Rocken netzen(32);
auch tust du hin und wider schwätzen;
den Säuen kannst am besten kochen,
hast wohl zwei tausend Flöh erstochen
und hast auch fert(33) ein Bankart tragen
und was soll ich dir lang wahrsagen?
der Bauch der wächst dir wieder her.

Die Magd schreit:
Wie, woll'st mir reden an mein Ehr?
Du leugst, du schwarzr diebischer Tropf;
ich schmeiß dirn Rocken übern Kopf,
se, se, se, se(34), heb dich an Galgen,
oder ich will dich im Dreck umwalgen(35).
Sie schlägt den Zigeuner naus.

Der Baurenknecht spricht:
Der Zigeuner hat unser Maid
so was gesaget, auf mein Eid,
als wer er Tag und Nacht bei ihr.

Die Magd spricht:
Was hat er denn gesaget dir,
du Unflatshals, du Molkendremel(36)?

Der Knecht spricht:
Du grober Petz(37), und du Brothemel(38),
kannst du denn keinen Schimpf verstahn?

Die Magd spricht:
Ei, das geh dich der Schütler(39) an,
du fauler, grober, birgischer(40) Knopf!
schweig, oder ich schlag dir an den Kopf
den Rocken, weil(41) ich ihn kann halten.

Der Knecht spricht:
Ei nun, muß dein der Teufel walten!
Schlag her, bist du keck, aller Kötzen(42),
so hau ich in dich mit der Plötzen(43)
gleich wie in einen Krautstengel.

Die Magd spricht:
Ei du verzagter Galgenschwengel,
wo man am Tanz die Messer zeucht
bist du allmal der erst der fleucht,
du darfst kaum einen Hasen schrecken.
Halt, ich will dir dein Maul verstecken(44)
hein, hein, hein, hein(45), wehr dich, du Schalk,
ich will dir bleuen deinen Balk!

Der Baurenknecht fleucht und schreit:
Ihr Biederleut, helft mir aus Not,
e mich der Unflat schlägt zu tot.

Sie schlägt ihn zu der Tür hinaus;
nachdem kommt der Zigeuner und beschließt:
Ihr erbarn Herrn und züchtig Frauen,
mein wahrsagen hat mich gerauen(46),
weil ich darum werd naus geschlagen.
Ich merk wohl, wer izt wahr will sagen
auch nit allein heraus(47) bein Bauren,
sondern in Städten und in Mauren,
dar wird jedermann darum feind;
das hab ich wohl erfahren heunt.
Wer aber itzund schmeilen(48) kann,
der ist ganz wert bei jedermann,
des müstn wir Zigeuner uns verkern(49),
für das wahrsagen schmeilen lern,
wölln wir uns nähren in der Welt,
reich werden, überkommen Geld,
und uns erwehren Ungemachs,
wünscht uns mit guter Hand Hans Sachs.

 

Schlafende Spinnerin,
Albrecht Dürer (1471 - 1528)

 

Anmerkungen zum
Fasnachtsspiel von Hans Sachs

1 hinnen, hie innen, hie = hier im Hause
2 Age, Agen = Flachsabfall, Schäben
3 Kirtag = Kirchmesse, Kirmes, Kirchweih
4 ich bin sein immer = ich bin nicht mehr dabei, ich will nichts damit zu tun haben
5 erwüten = wütend, böse werden
6 mocken = leise Bewegungen machen, sich verstohlen zu schaffen machen
7 Kühmaul henken an = einen Schimpf antun
8 schlaunen = spute dich, laß es rasch gehen
9 launen = feiern, plaudern
10 hölern = aushöhlen, ( wie bei H.S. Gedichte:...unser Rockenstuben, da essen wir Hutzel und höldern Ruben
11 Waschen = Maul
12 Holderdrüschel = Liebchen
13 ein hat graben = einen Zauber eingraben
14 freten, fretten = plagen, quälen
15 graben = begraben
16 Grind = verächtlich: Kopf
17 Frümheit = Frömmelei
18 bei den Jahrn = so lange du lebst
19 studvoll = voll wie ein Faß
20 gelten = zurückzahlen
21 Drüs = Pest
22 Balg = schlechtes Frauenzimmer
23 pfarren = Unzucht treiben
(von farren, Farre = Stier)
24 Schüffel = liederlicher Mensch
25 zwar = für war
26 grab = grau (graue Mähre)
27 Rösselwurst = Blutwurst
28 Schotten = süße Molke
29 mordes = mordlich, mörderisch
30 Amschel = Amsel
31 schlüchtig = nachlässig
32 den Meuchler haben = heimlich naschen und stehlen
33 netzen, natzen = schlummern, schlafen
34 fert = im vorigen Jahr
35 se = meint: sieh da! nimm das! sie haut dabei
36 walgen = wälzen
37 Dremel = Knüppel, grober Geselle
38 Petz = Bär
39 Hemel = Hammel
40 Schüttler = kaltes Fieber
41 birgisch = aus dem Gebirge, roh, grob
42 weil = meint: so lange
43 Kötz = Hure; aller Kötzen verstärkt den
Ausdruck zur Fluchformel
44 Plötze = verächtlich: Degen
45 verstecken 0 verstopfen
46 hein = ist ein Ruf während sie ihn schlägt
47 gerauen = gereut, leid tun
48 heraus = draußen
49 schmeilen = schmeicheln
50 verkern = sich merken, sich darauf einstellen