Frühlingswehen schritt durch die große Bauernstube 
                          gerade in dem Augenblick, als es draußen lockte, und 
                          die Sonnenflimmerchen bildeten lichte Streifen vom 
                          Fenster zum Fußboden. Von den Hecken und aus den 
                          Hohlwegen drohten allerdings noch die Reste weißer 
                          Schneewehen. 
                          Der Weberludwig bastelte im Hause herum. Eine große 
                          Unruhe war in seinen Gliedern, schon tagelang trieb es 
                          ihn. Frühlingsahnen lag über der Landschaft, und er 
                          war doch der Weberludwig. Ehe die Kühe eingespannt 
                          werden durften, mußte noch mancher Stoß Tuch 
                          geschlagen (gewebt) werden. Das war die Unruhe. Jetzt 
                          begann die Sitzzeit am Webstuhl; vorher mußte er noch 
                          einmal gründliche Umschau halten. 
                          Vor dem Haus gingen seine Augen die Dorfstraße 
                          entlang, die schnurgerade war und den Blick bis zum 
                          Dorfausgang frei ließ. Herzerquickend war, was er sah. 
                          Aus jedem Dachfenster guckte der Garnrick (Stange, auf 
                          denen gewaschene Garnstränge zum Trocknen aufgehängt 
                          waren) hervor, nicht klein und bescheiden, nein, in 
                          seiner ganzen Länge; genau bis in die Straßenmitte 
                          reichte er. So schaute er heraus, Haus für Haus hüben 
                          und drüben, und auf jedem Rick hingen die Garnzahlen 
                          in langen Kränzen und wiegten sich im Winde. 
                          So hatte das ganze Dorf dem Winterfleiß zu Ehren 
                          geflaggt. 
                          Durch lange Winterabende hatten fleißige Frauenhände 
                          das Garn gesponnen; unzählige Male hatten sich 
                          Frauenköpfe auf die Hand gebeugt, um den gleitenden 
                          Faden mit den Lippen anzufeuchten; viel tausendmal, 
                          bis der Wächter die elfte Stunde rief. Dann, wie auf 
                          ein Kommando, wurde der Rocken glatt gestrichen, wurde 
                          das Rad in die Ecke gestellt. Wer länger spann, fand 
                          am nächsten Morgen seinen Rocken zu unentwirrbarer 
                          Masse zerzaust, unbrauchbar zu feinem Garn. Niemand 
                          hat je den Missetäter ertappt, aber die alte Annegrit 
                          behauptet steif und fest, es käme von den ganz kleinen 
                          Hunden des wilden Jägers, die sich für eine Nacht in 
                          den Flachs zu weichem Lager kuschelten. 
                          So glich das Dorf einem Walde von Garn. Wer jetzt 
                          durch die Straßen ging, der konnte genau feststellen 
                          welche Frau abends ein Stündchen geschlafen hatte. 
                          Sachkundig waren alle im Dorfe; selbst die Buben 
                          johlten unter dem Rick, auf dem die Garnzahlen zu 
                          licht hingen. 
                          So war es bei Hansjergs, nebenan, der Rick war noch 
                          nicht ausgesteckt; aus dem Haus wälzten sich eben 
                          ätzende, weiße Schwaden dichten Dampfes. Ludwig wußte, 
                          daß sie jetzt erst ihr Garn kochten, wie immer, so 
                          auch in diesem Jahr zuletzt im Dorf. Eins hatten sie 
                          damit gewonnen: sie brauchten zum Ausspülen des Garnes 
                          keine Eisdecke im Bache mehr durchzuhauen, und den 
                          alten Faulenzern wurden beim Waschen die Hände nicht 
                          mehr so steif, daß sie das Zufassen vergaßen. Aber 
                          dafür bekam ihr Garn auf dem Rick auch nicht mehr die 
                          scharfen Nachtfröste, die es haben muß, wenn es weich 
                          und weiß werden soll. Und im Mai konnte man die 
                          Schlamperei auch am Tuch auf der Bleiche erkennen. 
                          Wenig Ehre im Dorf! Dafür hatte die Frau auch keine 
                          Schrunnen oder gar Hornhaut am Ringfinger, über den 
                          der Faden auf die Spule laufen mußte. Alles hat sein' 
                          Sach, auch die Schrunnen an der Frauenhand. 
                          Wenn in allen Siedekesseln das Garn in der beizenden 
                          Lauge aus Buchenholz kocht, wenn sich aus allen 
                          Häusern der ätzende Dampf wälzt, dann ist's Zeit. 
                          Heute noch wollte der Ludwig als erster im Dorf den 
                          Zettel (Kette) machen. Am Durchgang in seiner Stube 
                          war ein Brett mit kreisrundem Loch befestigt; das 
                          Zettelbrett war im Gegensatz zur weißen Decke blau 
                          gestrichen. Diesem Loch entsprach ein ebensolches im 
                          Fußboden. Der Zettelschrein (Schärrahmen), ein 
                          Ungestüm aus Latten mit Versteifungen, wurde mit 
                          seinem Drehbaum in beiden Löchern eingepflockt und 
                          hatte darinnen seine kreisende Bewegung beim Aufziehen 
                          des Garnes auszuführen. Dabei heißt es scharf 
                          aufpassen, sonst gibt's Dummheiten. Der Zettel ist ein 
                          glatt gehobeltes Brett, auf das mit Rötelstein die 
                          Touren aufgeschrieben werden, damit kein Irrtum 
                          entsteht. Danach ist das ganze kunstvolle Gebilde "der 
                          Zettel" benannt worden. Der Weberludwig ist Meister, 
                          er braucht kein Brett und keinen Rötel, er behält 
                          alles im Kopf. Wer im Dorf seiner Sache nicht ganz 
                          sicher ist, der holt den Ludwig zum Zettelmachen. Vor 
                          Jahren hat der Hannpeter an der Ecke seinen Zettel 
                          selbst machen wollen; er war doch im Gemeinderat. Aber 
                          trotz Brett und Rötel hat er ein buntes Gefädel an den 
                          Zettelschrein gedreht. Ludwig hat länger als einen Tag 
                          gebraucht, bis wieder alles in Ordnung war. Weben kann 
                          jeder im Dorf, wenn alles im Lot ist, aber das 
                          Zettelmachen hat nur der Ludwig im Griff; dafür ist er 
                          auch der Weberludwig. 
                          Und noch etwas kann er mehr als die andern, nämlich so 
                          schöne bunte Muster einweben für Tischtücher und 
                          Borten an die Handtücher, die Sonntags über den 
                          Gebrauchstüchern zur Parade an der Stubentür hängen. 
                          Wer damit Staat machen wollte, der mußte bei ihm 
                          eintauschen, immer zwei Ellen für eine.
                          Nach ein paar Tagen klapperten die Webstühle, 
                          klipp, klapp durchs ganze Dorf, durch den ganzen 
                          Hüttenberg und hinauf bis in den Vogelsberg. Die 
                          Kinder drehten auf dem Spulrad das Garn auf kleine 
                          Rohrspülchen zum Einschlag. Sie taten es nicht gern, 
                          aber sie taten es doch. Zu schnell waren die Spülchen 
                          wieder leer: - links klipp, klapp - rechts klipp, 
                          klapp - sauste das Schiffchen durch den geöffneten 
                          Garngang vor der Weblade. Linkes Bein - klipp, klapp - 
                          rechtes Bein - klipp, klapp! 18 Ellen, 20 Ellen den 
                          Tag mußten sich auf den Tuchbaum drehen; die Kinder 
                          murrten, ihre Finger schmerzten und manchmal wiesen 
                          Daumen und Zeigefinger der linken Hand Spuren von Blut 
                          vom gleitenden Fadens auf. 
                          Der Weberludwig webte auch für andere, immer 35 
                          Pfennig für die Elle und Abends beim Abliefern einen 
                          Eierkuchen mit Speck. Blos für die Annekäth wob er 
                          nicht mehr. Ihr Garn, es war nicht zum Sagen, riß 
                          schon beim Zettelmachen, riß dann beim Aufziehen auf 
                          den Garnbaum, riß beim Andrehen, riß erst recht beim 
                          Weben, wenn sich die Fäden spannten und etwas 
                          aushalten mußten. Da half die Schlichte aus Weizenmehl 
                          nichts, selbst als ein Stick Leim dazu gekocht wurde, 
                          riß es wie Schafsleder. Da riß auch des Ludwigs 
                          Geduld. Nach manchem harten Wort schwor er einen 
                          heiligen Eid, für die Annekäth nicht mehr zu weben. 
                          Ostern ist vorbei, gelbe Dotterblumen leuchten aus 
                          dem frischen Grün und Kettenblumen in Massen von den 
                          Bleichwiesen. Da ist der Paradeplatz für den 
                          Winterfleiß; weitaus sind sie schon bespannt mit 
                          Leinenstücken. Dreimal muß das Tuch in der Lauge aus 
                          Buchenholz gekocht und täglich wohl sechsmal mit dem 
                          Wasser aus dem Wiesenborn begossen werden, und 
                          sechsmal täglich leckt es die heiße Zunge der Sonne 
                          trocken. Auch in der Nacht bleibt es draußen. Da ist 
                          kein Dieb im Dorfe - nein so schlechte Menschen gibt 
                          es hier nicht. Tag für Tag dieselbe Arbeit, Tag für 
                          Tag durch drei oder vier Wochen. Weißer und weißer 
                          schimmert das Tuch wie frisch gefallener Schnee. 
                          Endlich liegt der Winterfleiß wohl geschichtet, Ballen 
                          auf Ballen, in der alten Truhe. 
                          Noch vor Pfingsten geht der Ludwig, gehen alle 
                          Bauern am Sonntagnachmittag auf die Felder, um zu 
                          ergründen, welcher Acker in diesem Sommer Flachsfeld 
                          sein soll. Gut gedünkt, kleinfurchig geackert, zu Mehl 
                          vereggt und dann tief den Samen in die sommerliche 
                          Erde! 
                          Wenn die Herbstnebel um die Zwetschenbäume wallen und 
                          den Früchten Farbe geben, geht die Annemarie mit vier 
                          oder fünf Freundinnen hinaus ins Flachsfeld. Die 
                          Sommersonne sog den blauen Blütensee auf, und 
                          bräunlich-grün schimmern nun Halm und Früchte. Rupp, 
                          zupp! klagt es unter den harten Frauenhänden. 
                          Kreuzweise werden die Bündelchen übereinander gelegt 
                          und in Busse (Garben) gebunden. 
                          An Abend sammelt sich das junge Volk in der 
                          Reffscheuer. Am eisernen Reffkamm auf den scharfen 
                          Zinken werden die Knotten, die harten Samenkapseln, 
                          abgerauft. Lachen, Necken, Gesang begleiten die Arbeit 
                          bis zur zwölften Stunde. Die Knotten fallen auf den 
                          Haufen unter den Reffkamm und die "Bettelleut" - das 
                          am Kamm hängenbleibende Unkraut, Geäst und Wurzelwerk 
                          - werden ab und zu herausgezerrt; unbrauchbarer 
                          Abfall, zu nichts mehr nütze. 
                          Ein schöner Altweibersommer spannt weiße Fäden durch 
                          den Hüttenberg. Hinter den Häusern liegen auf 
                          Knottentüchern die Knotten im Sonnenschein. Das 
                          knistert ohne Aufhören; die Knotten platzen und leeren 
                          die kleinen, braunen Samenkörner aus. Seit Wochen 
                          liegen die Flachsstengel auf der Spreite (zur 
                          Taurotte). Sonne, Regen und Reif im Wechsel zermürben 
                          die Stengel, so daß sich die Fasern lösen können. 
                          Wenn die Feldarbeit verrichtet ist, kommt der Flachs 
                          unter die Breche. Harte Arbeit ist es, den Schwengel 
                          zu heben, mit Kraft niederzustoßen, daß die Stengel in 
                          kleinen Splittern niederrieseln. Diese, die Ane (Schäben) 
                          werden dem Verputz an Häusern als Bindemittel 
                          beigefügt. Nachbarlich hilft man sich gegenseitig; es 
                          ist Frauenarbeit und wird mit einem steifen Kaffee 
                          belohnt. Bald sitzt die Hausfrau allein am 
                          Schwingstock und läßt das breite Holzschwert mit Wucht 
                          an den Fasern niedersausen, bis sie völlig von Anen 
                          frei sind. Auf dem Heustall ruhen die Fasern dann 
                          gebündelt bis um Martini. Die Hotche - Fasern, die 
                          beim Schwingen abfallen, ergeben, kunstvoll 
                          geflochten, fast unzerreißbare Seile für allerlei 
                          Zwecke. 
                          Wenn sich die Wintertage anmelden, dann beginnt die 
                          letzte Vorarbeit für das Spinnen. Die Hechel wird auf 
                          den "Schimmelstuhl" gebunden, und wenn die Kinder aus 
                          der Schule kommen, werden in ihnen allerlei 
                          Vorahnungen auf Winterfreuden geweckt. Die Mutter 
                          sitzt an der Hechel, flicht aus dem weichem langen 
                          Gefaser zarte Zöpfe wie Engelshaar und türmt hinter 
                          der Hechel einen Berg aus Werg auf. Aus diesem Werg 
                          wird das rauhe Garn gesponnen, das zu "wirkem Tuch" 
                          verwebt wird, gebraucht für die Wagentücher und die 
                          Obst- und Kartoffelsäcke. 
                          Und schließlich beginnt wieder das Spinnen. Die 
                          Annemarie, Ludwigs Frau, spinnt das beste Garn im 
                          ganzen Dorf. Ihr Faden hat keine Klinkworfeln (dicke 
                          und schlecht gedrehte Stellen) und wenn ihr Garn 
                          gewebt wird, braucht man nicht halb so viel Schlicht 
                          wie sonst. Sie hat drei Buben großgezogen und auch 
                          zwei Mädchen, die sich schon am Spinnrad versuchten, 
                          als die Füße kaum an den Tritt reichten. 
                          Das Jahr hat sich um seine Achse gedreht, mit all 
                          seinen Bedürfnissen, mit allen Pflichten und Lasten 
                          und Freuden um die blauen Augen draußen auf der Flur. 
                          Anfang und Ende berühren sich und das Gespinst aus 
                          heimischer Erde fügt sich ohne Naht zusammen.  
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