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Die Brennessel
als textiler Rohstofflieferant |
Nesselfaser
In der Naturheilkunde ist die große Brennessel "Urtica
dioica L." als Heilpflanze seit dem Altertum bekannt.
Vermutlich nutzte man die Pflanze auch schon früh als
Faserlieferant zur Herstellung von Garn und Geweben, sichere
Belege sind etwa 1000 Jahre alt; Funde gibt es aus der
Bronzezeit in Dänemark. Der russische Mönch Nestorius
berichtete zum erstenmal von prächtigen Gewändern, von
Segeltuch und Schiffstauen aus Nessel. In Deutschland
gibt es die ersten Belege aus dem 12. Jahrhundert. In
den Klöstern des Mittelalters befaßte man sich zum Beispiel
unter anderem auch mit der Herstellung von Nesselgeweben.
Im 15. Jahrhundert gewann die Verarbeitung von Nessel
immer mehr an Bedeutung, die bis ins 18. Jahrhundert anhielt.
In dieser Zeit gab es schwerpunktmäßig in verschiedenen
Regionen Mitteleuropas Werkstätten und Manufakturen, die
von der Herstellung der Nesselgewebe lebten, u. a. in
Süddeutschland und der Schweiz, in Leipzig ist für 1723
eine solche Manufaktur nachgewiesen. vornehmlich wurde
Nessel jedoch in Frankreich verarbeitet.
Im Laufe des 19. Jahrhundert kam ein Niedergang, die Nesselstoffe
schwanden allmählich vom Markt.
Die Rohstoffknappheit im ersten Weltkrieg und die Bestrebungen,
bezüglich der Rohstoffe autark zu werden, brachten die
Brennessel als Faserlieferant noch einmal in den Blickpunkt.
Umfangreiche Untersuchungen wurden angestellt um zu erkunden,
wie weit dieses Material wieder nutzbar gemacht werden
kann. Mit der Erkenntnis, daß Aufwand und Nutzen nicht
im Verhältnis stehen, kam nach dem Krieg das endgültige
Aus für den Rohstoff Nesselfaser, der daraufhin in Vergessenheit
geriet. |
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Botanisch gehört die große Brennessel
zur Familie der Urticaceen (Brennesselgewächse) als eine
von vielen, vor allem asiatischen, Spezies. Sie wächst
wild als ausdauerndes Kraut, das jedes Frühjahr aus den,
in der Erde liegenden Erneuerungsknospen wieder ausschlägt.
Die große Brennessel ist weit verbreitet, sie wächst auf
nährstoffreichem Boden in der Nähe von Siedlungen, auf
Müllhalden und an Wegrändern, auf feuchten Waldstücken
oder Gebüschen. Die Pflanze ist getrenntgeschlechtlich,
die männlichen und weiblichen Blüten sitzen an zwei verschiedenen Stengeln.Zur Fasergewinnung wurde die Brennessel im August
geschnitten. Die Stengel mußten gut getrocknet, dann geröstet,
gebrochen und gehechelt werden, ähnlich wie beim Flachs.
Die Aufbereitung war jedoch schwieriger und erforderte
zusätzliche Handarbeit, da die Fasern nicht wie beim Flachs
in Bündeln unter der Außenschicht liegen, sondern einzeln,
mit nur geringem Zusammenhalt in den vier Ecken des kantigen
Stengels; zudem sind die Brennesseln nicht sehr ergiebig,
der Ertrag liegt bei nur etwa 8 % der getrockneten Pflanze. |
Zeichnung von Irmgard Bott
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Das Ergebnis der Bearbeitung waren flockenartige,
feine weißliche Fasern in einer Länge max. von 3 - 5 cm.
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Das gesponnene Garn besaß
guten Glanz und Festigkeit und ließ sich leicht färben.
Gewebt wurde Nesseltuch, das in der Qualität jedoch nicht
an Leinen herankam. (Als "Nessel" bezeichnet man heute
einen rohweißen einfachen Baumwollstoff in Leinwandbindung,
doch ursprünglich war Nessel aus Brennesselfasern hergestellt.)
Zudem wurden aus Nesselgarn technische Gewebe wie z.B.
Filtertücher für Müllereizwecke oder Segeltuch für die
Schiffahrt hergestellt.
Der industriemäßige Anbau der Baumwolle seit Beginn des
19. Jahrhunderts und die damit verbundene Verbilligung
dieses Rohstoffes verdrängte allmählich die Nesselfaser,
die, soweit noch gebraucht, zunächst durch die sehr ähnliche
Baumwolle und später synthetische Fasern ersetzt wurde.
Ramie
Auch Ramie ist eine Urticaceae, ein asiatisches, nicht
brennendes Nesselgewächs, das in China beheimatet ist,
jedoch auch in Ländern wie Korea, Philippinen, Indonesien,
Russland u.a. angebaut und als Faserpflanze genutzt wird.
Die Pflanze gehört zu den wertvollen Faserlieferanten,
die seit Urzeiten in China, Japan und auch in Ägypten
kultiviert wurden. Nach Europa d.h. England kam der Rohbast
erstmals 1810, nach Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts.
Seither wird die Faser hier verarbeitet.
Die Ramiepflanze ist mehrjährig und braucht feuchtwarmes
Klima und nährstoffreichen Boden. Die Stengel erreichen
eine Höhe von über zwei Metern und sind über dem Boden
etwa fingerdick. Der Schnitt der Stengel erfolgt vor der
Samenreife etwa 5 cm über dem Boden. Die Wurzeln schlagen
sofort wieder aus, so daß bis zu drei mal im Jahr geerntet
werden kann.
Zur Aufbereitung der Faser müssen zunächst die Blätter
entfernt und die Rinde vom Bast abgeschabt werden. Das
geschieht in Handarbeit mit hölzernen Messern. Der Rohbast
wird dann in große Ballen gepreßt und kommt in dieser
Form in den Handel oder Export.
Der rohe Bast, wie er von der Pflanze abgezogen wird,
enthält etwa ein Drittel Pflanzenleim, der die Fasern
zusammenhält. Er muß vor dem Verspinnen entfernt werden,
was früher durch Einweichen und kochen in Seifenwasser
geschah. Heute verwendet man als Zusatz verdünnte Schwefelsäure.
Danach wird die Faser getrocknet, gehechelt oder gekämmt,
um die feinen Fasern zu trennen, und gesponnen.
Ramie hat ähnliche Eigenschaften wie Baumwolle ist
aber gleichzeitig auch flachsähnlich. Die Faser sind lang,
sehr fest, mit seidigem Glanz und schneeweiß, jedoch schwierig
zu verarbeiten, da noch kein befriedigendes Verfahren
zur Trennung vom holzigen Teil des Stieles und dem Bast
gefunden wurde.
Ramie ist bis heute ein wichtiger, textiler Rohstoff für
feine Gewebe wie Tischwäsche, aber auch Kleider- und Möbelstoffe,
als Garne zur Herstellung von Spitzen oder Wirkwaren.
In China hat Ramie dieselbe Bedeutung wie einst der Flachs
in Europa.
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Literaturauswahl:
Wagner, Erich, Die textilen Rohstoffe, Wuppertal-Elberfeld
1964
Baumgarten, Hermine, Die textilen Rohstoffe und
ihre Verarbeitung, München 1950
Katakyse-Institut, Hanf & Co, die Renaissance der
heimischen Faserpflanzen Göttingen 1995
Herzog, Alois, Eigenschaften der Fasern und Garne
der Brennessel, Melliand Textilberichte, Heidelberg
Schuster, Karl, Die Rohstoffe der Textilindustrie,
Stuttgart 1953 |
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